Ich hätte es sagen sollen
„Und, was ist Ihr Ziel? BILD oder Brigitte?“ Ich sehe ihn im kleinen Rechteck grinsen, mich die Stirn runzeln. Irritiert starre ich den Bildschirm an, richte den Blick dann zur befragen Person.
Einer Frau.
Andere Berufsmöglichkeiten gibt es für Frauen schließlich nicht. Entweder Boulevardzeitung oder Frauenzeitschrift. Klingt logisch.
Die junge Journalistin ist offenbar genauso irritiert wie ich. Ich frage mich, ob es sonst jemandem aufgefallen ist. Wir sind neun Volontär*innen aus ganz Deutschland. Vier Männer, fünf Frauen. Das Seminar soll uns über die Medienlandschaft aufklären. Wie heutzutage Zeitungen funktionieren, wie sie sich weiterentwickeln müssen, um in Zukunft zu bestehen.
„Wir müssen wissen, wer unser Leser ist“, sagt er und zeigt uns eine Grafik mit sogenannten „Personas“. Eine Darstellung der Leserschaft, eine Verbildlichung der Zielgruppe, eine Aufteilung in unterschiedliche Gruppen, beispielsweise „Konservativ-Etablierte“, „Liberal-Intellektuelle“, „Bürgerliche Mitte“. Zur Veranschaulichung gibt es ein paar Beispielbilder: Pärchen mit Namen wie „Karin & Sven“, „Kevin & Nadja“.
Die zu „BILD-oder-Brigitte“-Verdonnerte meldet sich zu Wort: „Es werden nur Biodeutsche dargestellt“, gibt sie zu bedenken, „wo sind die farbigen Menschen? Wo die weltlichen Namen? Wäre ein diverseres Bild nicht von Vorteil, um eine bessere Vorstellung der Leserschaft zu bekommen?“
Nein.
Nein, nein.
Nein, nein, nein.
Farbige Menschen, die seien ja natürlich in den einzelnen Gruppen drin. In der Prozentzahl, da seien sie natürlich eingerechnet. Zum Beispiel seien sie besonders oft in der Gruppe der „Prekären“ zu finden. Da sind sie doch!
Prekär. Gleichzusetzen mit farbigen Menschen. Genauso wie eine Frau mit einer Frauenzeitschrift gleichgesetzt wird.
Die Volontärin versucht angestrengt, ihren Punkt zu erklären, doch sie redet gegen eine Wand. Ich melde mich zu Wort:
„Ich denke es geht hier nicht um die Kategorisierung an sich. Eher um die Darstellung, die Wahl der Fotos. Dass nur weiße Menschen gezeigt werden“, erkläre ich überlegt. Einen Funken Hoffnung habe ich in der unteren Ecke entdeckt. Ich setze zum Reden an: „Die Grafik ist aber von 2016, ich denke, oder hoffe, dass das heutzutage…“
„Nein, also ich verstehe überhaupt nicht, wieso die Darstellung hier wichtig sein sollte. Es geht mir nur um den Inhalt, und die Inhaltserstellung ist ja überhaupt nicht abhängig davon, was hier für Bilder genutzt werden.“
Ein Punkt für: Mir ins Wort fallen.
Ein weiterer Punkt für: Einen Haufen altertümlicher Vorurteile anbringen, als Erklärung.
Noch einer für: Unsere Meinung verbessern. „Ich bin länger im Job, ich bin hier der Chefredakteur, ich habe recht“ schwingt in dieser Reaktion mit. Ich merke, wie ich innerlich klein werde. Unsicher. Mansplaining. Männer erklären mir die Welt. Weil ich eine junge Frau bin, kann ich es nicht wissen. Kann keine andere Meinung vertreten. Kann gar nicht Recht haben.
Für einen kurzen Moment glaube ich daran. Dass ich klein bin, unbedeutend, dass ich falsch liege, dass ich nichts mehr sagen sollte.
Aber ich hätte etwas sagen sollen.
„Danke“, schreibt mir die andere Volontärin ein paar Minuten später via Direktnachricht.
Ich hätte mehr sagen sollen. Wir hätten mehr sagen sollen.
Zwei junge Frauen, auf dem Weg in ihre journalistische Zukunft, werden innerhalb eines Augenblicks untergebuttert wie zwei ahnungslose Kleinkinder. Von einem Mann, der uns in sechs Stunden Seminar dauernd ans Herz legt: „Machen Sie den Mund auf, sprechen Sie Missstände in Ihren Redaktionen an, seien Sie rebellisch. Sie sind die Zukunft!“
„Seien Sie rebellisch, bleiben Sie rassistisch – oder was?“, denke ich still und heimlich.
Natürlich redet er von Online-Präsenz und moderner Schreibe. Eine moderne Arbeitsweise ist wichtig für den Erhalt, für die Zukunft der Medien… Für das Geschäft.
Eine moderne Arbeitsweise ist wichtig für die Toleranz, für die Inklusion, für die Gleichstellung.
Aber das sagt er nicht. Das ist nur eine kleine Stimme in meinem Kopf. Eine kleine Stimme, die sich langsam von diesem Mansplaining-Kinnhaken aufrappelt. Wieder groß wird. Und mir am Ende des Tages ins Ohr flüstert: „Du machst es mal besser.“
Ich hätte es sagen sollen.
Sehr wichtig!
-Dass die Geschichte veröffentlicht ist!
-Dass sie gelesen und verstanden wird!
-Dass die Kleine stimme lauter wird!
Danke, Gott!
Guter Artikel. Ich finde sogar du solltest mehr darüber schreiben. Umfassender die Situation darstellen.
Liebe Grüße
Dankeschön! Ja, hatte auch überlegt, die Situation noch genauer zu schildern. Vielleicht wäre es so für „Skeptiker“ noch verständlicher gewesen. Aber so finde ich den Text ganz gut zu lesen. Vielleicht ergeben sich ja noch weitere Texte zu dem Thema 🙂